Analysen zum Thema Wie aktuell soll Literatur sein?
 

Heinrich Böll: Die verlorene Ehre der Katharina Blum

Der Roman ist formal gesehen eine Berichterstattung der Polizei. Thema ist ein Mord, begangen von Katharina Blum, einer "freiberuflich arbeitenden Hausangestellten". Opfer ist ein Journalist der ZEITUNG, der die Auf- oder besser Erklärung des Falles verfolgte und nebenbei die Ehre der jungen Frau zerstörte, indem er einige Tatsachen verdrehte, ausschmückte oder wegließ. Typisch Klatschreporter, der nur auf Sensationen aus ist.   Nicht nur Katharinas Leben wurde innerhalb von 5 Tagen, inmitten der Karnevalssaison in den Ruin getrieben, sondern auch das ihrer Tante, Else Woltersheim und das ihrer Arbeitgeber und Freunde, der Blornas. Das Ehepaar ging in beruflichen und finanziellen Problemen unter, der Mann verlor sogar jeglichen Sinn für das gepflegte Aussehen und Erscheinen.

Katharina Blum kam aus einer ziemlich unsozialen Familie, sie hatte eine schreckliche Kindheit. Ihr Vater starb sehr früh, ihre Mutter war Alkoholikerin, wurde später krebskrank, der Bruder wurde kriminell. Das Mädchen mußte schon seit dem Alter von 14 Jahren im eigenen und fremden Haushalten aushelfen, wo sie oft von den Männern belästigt wurde. Kein Wunder, daß sie aus diesen Verhältnissen flüchtete, in eine Ehe, der sie noch nicht gewachsen war. Langsam empfand sie nur noch Ekel ihrem Mann gegenüber, denn auch seine Zärtlichkeiten wurden für sie zu Zudringlichkeiten. Sie ließ sich scheiden. Die schlimmen Erfahrungen machten aus Katharina eine fromme, fast prüde, zurückhaltende und kühle Frau, die aber durch ihr Organisationstalent ihr Leben wieder in den Griff bekam, sich eine Wohnung und einen Wagen erarbeitete und nicht mehr nur als Putzfrau, sondern auch als Party Service tätig war.
In dieses geordnete Leben platzte auf einer Faschingsfete Ludwig Götten, ein von der Polizei seit langer Zeit gesuchter und seit einigen Tagen verfolgter Verbrecher und Mörder, herein. Die beiden tanzten den ganzen Abend über ausschließlich und innig miteinander und verbrachten sogar die Nacht zusammen. Ziemlich ungewöhnlich und unverständlich für eine Frau, die im Regen stundenlang in ihrem Auto herumfährt, nur um nicht alleine zu Hause zu hocken. Denn in Discos, Kneipen oder Kinos würde sie nie alleine gehen, aus Angst, die Männer würden sie anreden und sonstwas mit ihr anstellen. Diese Ungereimtheit, die sich selbst Katharina nicht erklären konnte, machte sie in den Augen der Polizei zu einer Komplizin von Götten, insbesondere nachdem sie ihm einen Fluchtweg aus ihrer Wohnung gezeigt hatte.

Die Polizei vernahm Katharina dreimal. Nach und nach stellte sich heraus, daß sie Ludwig Götten vor der Fete nicht gekannt hatte und daß das Zusammentreffen dort zufällig und nicht verabredet war. Vieles sprach gegen sie, unter anderem der ominöse Herrenbesuch, dessen Identität Frau Blum nicht preisgeben wollte, und der sich der Polizei der schlechten Publicity wegen nicht stellte, und den und Götten die Polizei für eine und dieselbe Person hielt. Katharina verabscheute den Herrenbesuch, seine unendlichen Annäherungsversuche widerten sie an, doch aus einem einzigen Grund mußte sie ihm dankbar sein. Für den Schlüssel zu seiner Zweitvilla, wo sich Ludwig verstecken konnte. Nicht lange zwar, denn der leitende Kommissar Beizmenne hatte eine außergewöhnliche Leidenschaft: seine Zäpfchen. Er hörte die Telefongespräche aller Verdächtigen ab, erfuhr dadurch auch den Aufenthaltsort des Verbrechers, der festgenommen und zu voraussichtlich 8-10 Jahren Gefängnisstrafe verurteilt wurde. Auch Katharina Blum bekam 8-10 Jahre für den Mord am Journalisten. Die Presse trieb sie in die Verzweiflung: vier Tage nach der Fete bat sie um ein Exklusiv-Interview mit Tötges, holte ihn auf ihre Wohnung, und als der auch zudringlich wurde, oder werden wollte, riß der Frau der Faden, und sie brachte den Journalisten um. Reue empfand sie nicht. Sie stellte sich sogar freiwillig der Polizei, denn endlich konnte sie genau dorthin, wo ihr geliebter Ludwig war.

"In dieser Geschichte passiert zu viel. Sie ist auf eine peinliche, kaum zu bewältigende Weise handlungsstark: zu ihrem Nachteil." Es geschieht wirklich viel. Der Leser muß genau aufpassen, um bei den Rückstauungen und Vorgriffen mithalten zu können. Vieles wird nur angedeutet, oft aber verfängt sich der Autor in scheinbar unwichtigen Details. Doch nur so kann er den Vorgang erklären, so wird er richtig glaubwürdig. Die Pfützen-Kanalisationsmetapher wird über den ganzen Roman fortgeführt. Genau, wie wenn man mehrere individuelle Pfützen miteinander verbinden will, und es zwischendruch zu Stauungen kommt, meistens aber schön fließt, und am Ende eine große, klare Pfütze zustande kommt, so wird am Ende der Ermittlungen auch (fast) alles aufgeklärt werden.   Mehrmals wird erwähnt, daß bloß kein Blut fließen soll. Vielleicht weil gerade Karneval ist? Weil dem Autor dabei schlecht wird? Oder weil er keine Horrorgeschichte schreiben will, sondern einen Roman, in dem nicht die Tat selbst wichtig ist, sondern wie es dazu kam? Wie es dazu kommen konnte?
Was ist die Rolle des Karnevals? Einfach, daß die Gauner diese Zeit ausnutzen, um leichter untertauchen zu können? Steckt da nicht mehr dahinter? Etwa die Ironie des Schicksals, daß eine einsame Frau im fröhlichsten Abschnitt des Jahres, anstatt sich zu amüsieren, kriminell wird?   Frau Blum brachte Tötges um, weil er sie um ihre Ehre brachte, ihr Leben zerstörte. Alles nur, weil ihr Name in Zusammenhang mit einem Gauner gebracht wurde. Hätte sie also an dem gewissen Abend Götten nicht getroffen, wäre alles nicht passiert. Doch kaum hätte Katharina alles ungeschehen gemacht, hätte sie die Macht dazu gehabt. Denn endlich fand sie jemanden, den sie an sich heranlassen konnte, den sie lieben konnte.

Petra Varga

Über die Aktualität von Bölls "Die verlorene Ehre der Katharina Blum"

Das Werk ist völlig aktuell, und das wird immer so bleiben. Das Grundproblem ist nämlich zusammen mit der Presse geboren. Die Medien können die öffentliche Meinung weitgehend beeinflussen. Und manche Leute mißbrauchen diese Möglichkeit. Das wahrscheinlich unlösbare Problem ist klar: wenn eine Prüfungskommission aufgestellt würde, die die Vertraulichkeit von Informationen kontrollierte, könnte sie von Politikern oder Beamten benutzt werden, unangenehme Fakten zu verdecken. Deshalb darf die Pressefreiheit nicht einmal mit positivem Ziel beschränkt werden. Die einzige Methode, mit der Verleumdungen unterdrückt werden könnten, und die keine Nachteile hat, ist die Erhöhung der Strafe. Das Verleumden ist wahrscheinlich das effektivste und böseste Mittel, weil man dagegen nichts tun kann. Wenn das Opfer beweist, daß es unschuldig ist, bedeutet es nicht viel. Bei einem Politiker kann eine solche Angelegenheit die Karriere kaputtmachen, weil er das Vertrauen der Menschen garantiert verliert.
Das Buch zeigt, was es bei einem durchschnittlichen Menschen bewirken kann. Die Handlung ist also ganz realistisch, schade nur, daß Böll keinen Ausweg findet. Warum er mit der Entscheidung seiner Heldin nicht einverstanden ist, kann erläutert werden: er ist kein sentimentaler oder romantischer Mensch - Katharinas Lösung ist begreifbar, aber nicht annehmbar. Herr Hantos (Geschichtslehrer an unserer Schule) hat sich zum Thema geäußert, was man mit solchen Zeitungen,  Artikeln tun kann: Man soll sie außer acht lassen. Wenn man einen Prozeß beginnt, wird es nur als finanzielle Belastung gelten, es dauert so lange, daß die Leute die Sache vergessen. Damit bekommt man nur eine Menge Streß, und vielleicht ein bißchen Geld.
Katharina hätte nach dieser Theorie auf die Fragen nach den Herrenbesuchen etwa so geantwortet: "Ja, die waren sehr nett, ich habe mich phantastisch amüsiert..." Natürlich hat der Autor das Werk so geschrieben, damit wir einsehen, daß Blum damit nichts hätte anfangen können. Das kommt aber daher, daß sie irgendwie an einem Verbrechen beteiligt ist. Außerdem können nur sehr starke Persönlichkeiten sich auf diese zynische Weise verhalten.
Zusammengefaßt kann man sich nur in sehr geringem Maße gegen die Medien verteidigen.

Kornél Eisler

 

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